Gewalt
Den Begriff "Gewalt" kann man auf unterschiedliche Arten auslegen. Für mich zum Beispiel ist der momentane Telenovela-Hype eine Form von Gewalt, die jeden meiner Sinne matert. Ein US-Kritiker bezeichnete unlängst Apocalypto als brutalsten Film aller Zeiten, und hat dafür mittlerweile hoffentlich seine Kündigung erhalten. Moderne Terror-Schocker wie The Hills Have Eyes, Hostel oder Saw 2 und 3 (um mal bei den Mainstream-Filmen zu bleiben) haben die Messlatte für visualisierte Gewalt-Zelebrierung ein gutes Stück nach oben geschraubt. Hinzu kommen kleinere und nicht weniger derbe Filme wie z.B. Wolf Creek. Handlung existiert in diesen Filmen nur noch ganz am Rande und die Darstellung der Gewalt spielt in einer völlig anderen Liga als bei den bisherigen Werken von Mel Gibson. The Texas Chainsaw Massacre - The Beginning reiht sich in diese Tradition ebenso ein, wie schon sein Vorgänger, das Remake von 2003.
Man könnte darüber philosophieren, wie diese Entwicklung zustande gekommen ist. Mag sein, dass es an den Folterbildern aus Abu Ghraib liegt, und daran, dass durch immer realistischere (und brutalere) Videospiele eine Desensibilisierung bei den Konsumenten vorangetrieben wird. Was auch immer der Grund für die "Verrohung" (um es mal sozialkritisch zu formulieren) dieser Machwerke sein mag, letzten Endes stellt sich nur die Frage, welchen Nutzen, welchen positiven Effekt diese Entwicklung bringen könnte.
Wie bitte? Abgetrennte Gliedmaßen sollen einen positiven Effekt haben? Sicher! George A. Romero hat die exzessive Gewaltdarstellung zu seiner Zeit für eine heftige, und vielleicht gerade deshalb so gelungene Gesellschaftskritik in Night Of The Living Dead bzw. Dawn Of The Dead eingesetzt. Dass diese Kritik von der breiten Masse nicht verstanden und übersehen wurde, bestätigt seine Kritik dabei ja vielmehr, als dass sie dadurch geschmälert würde. Wer den Zusammenhang von Hirntoten-Zombies in einem Kaufhaus nicht auf den Schirm bekommt, war sicherlich nicht Adressat von Romeros Schelte.
Viele der neuen, noch radikaleren Filme hingegen ergehen sich einzig und allein darin, noch härter, noch dreckiger, noch schockierender zu sein. Prinzipiell nichts Verbotenes, besonders das Actiongenre kann ein Lied davon singen. Die Saw-Reihe bemüht sich immerhin - wenn auch mit mäßigem Erfolg - eine Handlung mit Twists einzubauen. Aber wenn man schon die ausufernde Gewaltdarstellung per se als filmisches Stilmittel akzeptiert, dann muss sie sich auch den gängigen Kriterien unterwerfen. Und diese besagen nun einmal, dass ein Film ohne Handlung bestenfalls für Genre-Puristen unterhaltend ist.
Denn eines darf man nicht übersehen: das einzige Novum unserer Zeit besteht darin, dass die Gewaltdarstellung in professionellen Hollywood-Mainstream-Filmen sich um ein gutes Stück den Indie- und Amateur-Produktionen angenähert hat. Erhätlich war solche Kost eigentlich schon immer, nur eben nicht im Cinemaxx.
Viel Blut, abgeschnibbelte Arme und Beine, meinetwegen auch Köpfe, Folterszenen und sonstige Geschmacklosigkeiten, all das darf ein Film gerne enthalten. Kill Bill und Sin City beispielsweise zeigen, dass sich daraus sogar ein Stück Filmgeschichte machen lässt. Vergisst man dabei allerdings das "Drumherum", wird es dem eh schon überstrapazierten und an echten Highlights ohnehin dünn besiedelten Horror-Genre genau so ergehen, wie dem Actionkino. Auch hier war keinesfalls der gesteigerte Gewalt-Faktor ausschlaggebend für nachlassendes Niveau. Vielmehr verlief beides gleichzeitig und ließ bei einigen Rezipienten vielleicht deshalb diesen Trugschluss zu.
Terminator 1 und 2 waren zu ihrer Zeit harte Filme, in der Die Hard Trilogie geht es alles andere als zimperlich zur Sache. Und trotzdem - oder auch gerade deshalb - sind es grandiose Filme. Zu Micky-Maus-Scheiße wurden Schwarzenegger-Filme erst, als unser Lieblings-Gouverneur sich an ernsthafter Schauspielerei gepaart mit hanebüchenen Drehbüchern versuchte und sämtliche Konkurrenz (von van Damme über Seagal bis Chuck Norris) als Hauptverkaufsargument nur noch eine FSK-18-Einstufung vorzuweisen hatten. Das Paradebeispiel für eine solche Entwicklung stellt übrigens die Rambo-Trilogie dar.
Was daraus für das Horror-, Slasher-, Terror-Genre folgt? Das Gleiche wie immer: die Flut an mittel- bis unterklassigen Filmen wird irgendwann - mal wieder - zum vielzitierten Tod des Genres führen, nur damit es dann irgendwann durch eine echte Perle möglicherweise noch glanzvoller wieder aufersteht. Das scheint der Lauf der Dinge zu sein, und wenn dem so ist, dann trägt immerhin jede noch so grottige Produktion letzten Endes doch zu einem echten Klassiker bei.
Alles schon mal da gewesen...
Und noch was: Die Rambo Trilogie als Paradebespiel für die "Anti-Niveauisierung" eines Genres zu nennen, dürfte wohl auch mehr als kritisch zu sehen sein. Die Entwiklung des Ramboserie hat ausschließlich politsche Hintergründe. Eine solche Verarbeitung politscher Elemente und, viel Schlimmer, der politschen Stellungnahme in grundsätzlich unterhaltenden Medien lässt sich auch heute erschreckend oft in amerikanischen Filmen finden. Das dürfte wohl hinlänglich bekannt sein. Paradebeispiel hierfür: Independence Day feat. Golfkrieg & Co.
Zur Terrorfilmwelle der 70er empfehle ich die Doku "The American Nightmare", erhältlich auf DVD von epiX.
Immer schön langsam
Ich sage an keiner Stelle, dass das Genre tot sei. Allein die Formulierung "viel zitierten Tod des Genres" sollte deutlich machen, dass ich mich dieser Phrase nicht anschließe. Eigentlich soll dieser ganze Artikel nur dazu dienen, das Gegenteil zu zeigen. Also nicht vorschnell die Rute rausholen, weil das eigene Lieblingsgenre vermeintlich in Gefahr ist. Filmemacher wie Romero nenne ich mit exakt der gleichen Aussage wie du.
Allerdings hat eine so einseitige Entwicklung, wie sie das Horrorgenre derzeit durchmacht und wie es (nur als Beispiel) das Actiongenre (das ich ebenfalls nie als tot bezeichnet habe) auch schon durchmachen musste, extreme Abnutzungserscheinungen zur Folge. Die Kreativität bleibt weitgehend auf der Strecke. Sich beim Thema "Gewalt" hauptsächlich auf das Horrorgenre zu beziehen, weil in diesem - mehr als in allen anderen Genres - Gewalt ein, wenn nicht DER wesentliche Faktor ist, ist keine "ungleiche Gleichung", sondern legitim und sinnvoll. Ganz nebenbei: die Rechnung, dass das Genre wegen der Gewalt zugrunde ginge, habe ich nie aufgemacht!
Die von Michael Bay produzierten TCM-Filme als Stinkefinger für die Gesellschaft zu bezeichnen ist schon ein sehr kühner Euphemismus. Diese Filme haben NICHTS Sozialkritisches (und gerade darin unterscheiden sie sich ja von ihren Vorgängern), sie reiten ausschließlich auf einer los getretenen Welle mit (was ich nur fest stelle und noch nicht einmal prinzipiell verurteile).
Ich habe ebenfalls - genau wie du - gesagt, dass es immer Highlights gibt und geben wird, die das Genre vorantreiben. Filme wie TCM gehören DEFINITIV nicht dazu. Eine Grenzüberschreitung oder -verschiebung allein macht noch keine Weiterentwicklung geschweige denn einen guten Film aus.
Abschließend: Rambo IST DAS Paradebeispiel. 1. Ist innerhalb EINER FILMREIHE der Wandel unverkennbar (und auf den Wandel kam es mir ja an. Ein Vergleich zwischen 2 nicht zusammen hängenden Filmen wäre wenig hilfreich) 2. gibt es den Trend der politischen Stellungnahme in unterhaltenden Medien natürlich immer noch, aber bloß weil es heute noch Zombie-Filme gibt, bleibt Night Of The Living Dead doch trotzdem auch das Paradebeispiel! 3. behaupte ich einfach mal, dass 9 von 10 Filmliebhabern auf die Frage nach einem krankhaft patriotischen und die USA sowie ihre Armee insbesondere verherlichenden Film mit "RAMBO" antworten würden. Dieser Name ist ja quasi ein Synonym für hirnfreien Hurra-Patriotismus (was natürlich nicht heißen soll, das Independence Day auch nur einen Deut besser wäre!).